Frau Holle und der Kinderzug
Es war einmal eine junge Frau, der starb ihr Kind ungetauft und so wurde es nicht auf dem geweihten Friedhof beigesetzt. Und der Schmerz der Frau darüber war beinahe so groß wie über den Verlust des Kindes.
Nun wohnte am Ende des Dorfes eine weise Frau, viele hielten sie auch für eine Hexe. Man sprach, daß sie viel mehr wissen würde von dem, was zwischen Himmel und Erde vorgeht, als die normalen Sterblichen.
Nun kam kurz vor Weihnachten, die junge Frau zu der Alten und klagte ihr Leid.
Die Alte aber sagte: "Du brauchst darüber nicht traurig zu sein. Ich gebe dir jetzt einen Rat, und das wird dir zum Trost gelangen. Am Frau Holle Abend, warte am Kreuzweg. Das wird dir Trost bringen."
Am Frau Holle Abend ging nun die junge Frau zum Kreuzweg und wartete dort unter dem Holunderbaum. Es wurde neun Uhr, es wurde zehn Uhr, und sie hörte vom Dorf elf schlagen. Kaum hatte die Glocke ausgeschlagen, da hörte die Frau ein Singen. Sie sah einen Zug Kinder, und vor ihnen schritt eine hohe, schöne Frau.
Wie sie näher kamen, da sah die junge Frau, daß sie gerade ihr kleines Töchterchen an der Hand hatte. Und Frau Holle wandte sich zu ihr und sprach:
"Du mußt nicht traurig sein. Siehe, jedes Jahr an meinem Abend hole ich alle Kinder, die ungetauft verstorben sind und bringe sie in meinen Garten. Sie werden es dort schöner haben, als sie es je auf Erden gehabt hätten."
Und dann winkten sie ihr noch einmal zu und verschwanden. Seit diesem Abend war nun die junge Frau getröstet.
Aus:
Sigrid Früh, Rauhnächte - Märchen, Brauchtum, Aberglaube
Holdenhof - Mediathek
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